Beim Sonntagsfrühstück soll mich das Radioprogramm unterhalten. Gute Musik, frohe Moderatoren, ein kleiner Witz; das genügt. Doch stattdessen: Corona-Epidemie, Quarantäne, Krise in der Weltwirtschaft. Das ist mir einfach zu viel. Ich schalte aus und schaue auf dem iPhone in die üblichen Nachrichtenkanäle. Aber auch hier herrscht Virenalarm. Am 8. März 2020 befindet sich die Republik im Krisenmodus. Hoch erregt! Ich scrolle weiter: „Trotz CORONA: Lasst uns den Globalisierungs-Turbo zünden! (https://www.n-tv.de/wirtschaft/Lasst-uns-den-Globalisierungs-Turbo-zuenden-article21623385.html).
Wow, hier hat einer was zu sagen, denke ich und lese weiter: „Der digitale Tsunami steht uns noch bevor“ orakelt Anders Indset, Wirtschaftsphilosoph aus Norwegen. „Plattform-Ökonomie, Share-Economy, Kreislaufwirtschaft, Aufmerksamkeitsökonomie: Es muss und wird weitergehen, denn nur so können wir Risiken minimieren.“
Stimmt, denke ich, doch gleichzeitig beschleicht mich wieder diese Beklemmung von vorhin: Wir stehen doch unter Quarantäne! Quarantäne heißt im Moment: Erkrankte werden isoliert, ihre Reisewege zurückverfolgt, ihre Kontaktpersonen identifiziert und zur Untersuchung beordert. Ganze Gruppen werden als Ansteckungsherde herausgefiltert, Schulen, Universitäten, Messen geschlossen und verboten. Die natürliche Vernetzung der Menschen wird abgeschnitten, Knoten im Netzwerk abgetrennt. Die Folgen sind dramatisch und allenthalben spürbar. Obwohl selbst in den allermeisten Fällen nicht betroffen, bekommen wir Angst, verfallen in Panik. Wir versorgen uns mit Klopapier, Nudeln und Desinfektionsmittel, um vorbereitet zu sein. Vorbereitet auf die Isolierung! Jetzt ist Schluss mit Solidarität, es geht ja schließlich um unser Überleben.
„Quarantäne tut weh!
Nur vor den Fabriktoren macht diese Erkenntnis seltsamerweise Halt.“
Ich räume den Tisch ab. Meine Gedanken kreisen um Infektionsketten und Quarantäne. Um Netzwerke und deren Unterbrechung. Heerscharen von Unternehmensberatern propagieren New Work, Digitalisierung, Transformation. Worum geht es da? Um eine Realität, die jedem Verantwortlichen in der Wirtschaft längst klar ist – und uns jetzt durch Corona doch so schmerzhaft auf die Füße fällt: Die Welt ist ein vernetztes System, in dem jeder von jedem abhängig ist. Wie sehr, das spüren wir gerade. Quarantäne tut weh!
Nur vor den Fabriktoren macht diese Erkenntnis seltsamerweise Halt. Wir kanalisieren Informationsflüsse durch Abteilungen. Wir trennen Wissen und Arbeit durch Hierarchie. Wir unterbinden Kontakte abseits der Dienst- und Berichtswege. Wir kontrollieren Menschen und vermehren unsere Macht auf der Ebene der scheinbar Wissenden. Wenn wundert es da, dass Angst und Verunsicherung bei den Mitarbeitenden zur Normalität geworden sind? Die Menschen im Unternehmen stehen unter Quarantäne!
Aber welcher Virus soll hier bekämpft werden? Es gibt keinen. Unsere Unternehmen bestehen aus mündigen, wissenden Menschen. Menschen, die nach ihren Werten den Sinn ihrer Arbeit erkennen und ihr Leben danach ausrichten. Unternehmen sind ein lebendiges Netzwerk von Menschen, die in einem globalen Netzwerk etwas leisten und erreichen wollen. Diese Menschen sind unsere einzige Ressource, um in in einer globalen Netzwerkwelt zu überleben. Menschen wollen arbeiten, leisten, leben. Hebt die Quarantäne endlich auf!
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