Unternehmen müssen sich verändern können, wenn sie in unvorhersehbaren Märkten bestehen wollen. Doch wohin man sieht, wird Change immer wieder hinausgeschoben. Oder er scheitert; mal still, mal krachend. Die Tür zum Raum der Veränderung scheint verschlossen, der Schlüssel verloren. Dabei gibt es meist nur einen Schreibtisch, in dessen Schublade er liegen kann.
„Let`s not waste anymore lives“, haucht Carol Dweck in ihrem TED Talk „The power of believing that you can improve“ ins Mikrofon. Sie spricht über junge Menschen in New Yorks Bronx, die ihre Geisteshaltung wandelten. Mit dem Growth Mindset mutierten sie zu Höchstleistern. Und das, weil man die Schüler statt sie für Nicht-Wissen mit schlechten Noten zu bestrafen, für ihr Streben nach Wissen belohnt hat. Diese neue Pädagogik machte geborene Loser zu Höchstleistern.
“Verlass‘ deine Komfortzone, lerne etwas Neues, dann bist Du erfolgreich“, höre ich Carol Dweck sagen. Leichter gesagt, als getan, denke ich. Auch wenn Satya Nadella, CEO von Microsoft, nach dem Modell des Growth Mindset den gesamten Konzern ordentlich durchgeschüttelt und auf neue, überaus erfolgreiche Beine gestellt hat. Was er geschafft hat, müssen heute sehr viele Unternehmer und Manager schaffen. Wie ein Dämon schweben Digitalisierung und Globalisierung über Unternehmen jeder Größe. New Work soll es richten. Ein neues Menschenbild muss her, am besten gleich ein agiles Mindset. Weg mit den Hierarchien, weg mit den Chefs; „Unbossing“ heißt das neuerdings. Niemand soll mehr Kreativität, Einsatzfreude und Verantwortung bremsen.
Gefangen im Zimmer der Effizienz
Und dann trete ich morgens wieder durch die Drehtür in die Firma. Vor meinem Schreibtisch bleibe ich eine Weile stehen. Der neue ist höhenverstellbar. Hat der Chef spendiert. Jeder Mitarbeiter auf unserer Etage hat einen bekommen. Neuerdings machen wir auch unsere Besprechungen im Stehen. So kommen wir nicht ins Schwätzen und konzentrieren uns aufs Wesentliche. Auf dem Besprechungstisch stehen seit ein paar Wochen Aufsteller mit Regeln. Vom Management. Um Innovation, Flexibilität und Verantwortung jedes Einzelnen geht es da. Mein Kopf sagt: Wir sind auf Erfolgskurs. Mein Gefühl sagt: Nein.
Wir haben es verstanden, das Zimmer mit der Effizienz immer weiter auszubauen. Wir haben gelernt, dass mit mehr Übung auch die Leistung steigt. Wir haben das Managen trainiert: Kommuniziere klare Ziele, setze enge Zeitfenster, kontrolliere, schiebe nichts auf die lange Bank. Belohnt wurden wir dafür auch. Für mich bedeutete mehr Umsatz im Vertrieb eine höhere Prämie. Vielleicht auch noch eine Beförderung. Dabei nahmen wir zunehmend Störendes in Kauf: Bürokratische Entscheidungsfindung bei der ohne die Chefs nichts voran geht. Träge Entwicklung, die Produkte liefert, die schon vor der Marktreife veraltet sind. Und, am schlimmsten, die Blockade im Kopf. Die Chefs wollen ihre Macht – sie nennen das „ihre Position“ - nicht aufgeben. Das System funktioniere sonst nicht. Und so hängen wir jetzt in dieser Endlosschleife der Effizienz fest. Anders gesagt: Wir sind im Effizienz-Zimmer gefangen.
Wo ist der Schlüssel?
Dabei besteht ein anpassungsfähiges Unternehmen aus mehr als nur diesem Zimmer. Da ist etwa das Zimmer der Veränderung. Es ist kein Wohnzimmer. Eher ein Durchgangszimmer zu weiteren Räumen. Räume, in denen Wachstum und schließlich neues, effizientes Wirtschaften ihren Platz haben. Doch die Tür zum Zimmer der Veränderung ist verschlossen. Und niemand weiß, wo der Schlüssel geblieben ist. Kopfschütteln ringsum.
Das ist nicht nur ärgerlich, das gefährdet die Existenz des Unternehmens. Ohne Verantwortung und Selbststeuerung, ohne Transparenz und ein neues Führungsmodell, ohne agile Teams und flexible Prozesse werden wir es in der VUCA Welt wohl recht schwer haben. Wir sind zu langsam, zu träge, zu unattraktiv für kreative und mutige Menschen. Menschen, die ihre Erfüllung und ihr persönliches Glück durchaus mit ihrer persönlichen Schaffenskraft in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten suchen. Die möchten nicht nach starren Regeln benotet werden und auf Gedeih und Verderb der Willkür von Chefs ausgesetzt sein. Sie möchten nicht für Nicht-Wissen bestraft, sondern für ihr Streben nach Wissen belohnt werden. Also, zum letzten Mal: Wer hatte den Schlüssel zuletzt in der Hand? Da meldet sich einer! Ach du liebe Zeit, ausgerechnet der Chef …!

Der Raum der Veränderung ist ein Durchgangszimmer. Nur durch ihn gelangt ein Unternehmen zu neuem Wachstum und Effizienz auf einer höheren Ebene.
Ich erinnere noch gut an die Zeit als ich zur Firma kam. Damals, vor zwanzig Jahren, da hatte der Chef die Firma gerade von seinem Vater übernommen. In vielen Besprechungen hat er gemahnt: „Denkt daran, Leute, ich habe meinem Vater versprochen, das Unternehmen in seinem Geiste weiterzuführen: Ehrlichkeit, Vertrauen und Fleiß.“ Und immer wieder hat er die Geschichte erzählt, wie sein Vater den ersten Kunden dadurch gewonnen hatte, dass er die erste Anfrage des Kunden an seinen Wettbewerber weitergeleitet hat, weil er sich außer Stande sah, das Produkt in der gewünschten Qualität zu liefern. Der Kunde stand dann keine vier Wochen später mit einer noch größeren Anfrage vor der Tür, die dann tatsächlich die Grundlage für das Unternehmen von heute geschaffen hat. Wir waren immer wieder begeistert von dieser Geschichte. Sie hat uns einen Sinn vermittelt, eine gemeinsame Kultur für das Unternehmen begründet. Warum auch immer, jedenfalls fehlt uns heute diese gemeinsame Geschichte, die wir abends erzählen, wenn wir unseren Frauen, unseren Kindern oder Freunden von unserer Firma berichten. Schade, denn genau das wäre der Schlüssel, den wir so dringend brauchen. Der Chef ahnt es, druckst aber noch herum.
Mutig durch die Tür
Ich hoffe, dass unser Chef den Schlüssel bald herausgibt. Denn nur mit einer gemeinsamen Überzeugung von dem was wir tun, nur mit gegenseitigem Vertrauen können wir Veränderungen angehen. Einer der durchregieren will, das letzte Wort beansprucht und nur durch ein Vorzimmer erreichbar ist, steht dem im Weg. Nur der gemeinsame, von allen geteilte Sinn schließt die Tür ins Veränderungszimmer auf. Es ist höchste Zeit, das Lagerfeuer wieder anzuzünden, uns im Kreis darum zu setzen und uns Geschichten zu erzählen. Es ist jetzt Zeit, den Sinn zu finden, gemeinsam am Geflecht unserer Unternehmenskultur zu weben. Wenn uns das gelingt, wird es sich in der Firma wiederspiegeln. Im Umgang miteinander. In der Struktur. Und natürlich in der Art der Führung.
Dann öffnet sich der Raum der Veränderung. Hier können wir experimentieren und aus Fehlern lernen. Hier gründen wir agile Teams und lassen sie in der Werkstatt permanent an neuen Produkten und verbesserten Prozessen arbeiten. Hier finden wir schließlich zu profitablem Wachstum, das nicht Ergebnis einer immer fester angezogenen Effizienz-Daumenschraube ist. Stattdessen beruht es auf einer sinnbasierten Unternehmensstruktur, die sich flexibel den volatilen Marktbedingungen anpasst.



Jede Phase der Transformation hat ihre Aufgaben und Schwerpunkte.
Wenn wir es doch wissen, warum tun wir’s dann nicht? „Let`s not waste anymore time“, möchte ich Carol Dweck zurufen. Morgen habe ich einen Termin beim Chef.
Rütteln auch Sie vergeblich an der Tür zum Raum der veränderung? Sehnen Sie sich nach einer starken, gemeinsamen Erzählung? Lassen Sie uns darüber sprechen!