Freude am vergangenen Samstag: Im Maileingang liegt ein Beitrag des Magazins netzwerk südbaden über PROCEED. Dessen Redakteur Daniel Ruda hatte Michael Kirsch und mich kürzlich zum Thema „New Work“ interviewt. Beim Überfliegen der Zeilen bleibe ich hängen: „Die neue Arbeit, deren wichtigster Punkt es vor allem sei, Dinge anders anzugehen als in der ‚alten, hierarchisch geprägten Welt‘ ist ein wesentlicher Bestandteil der Transformation, um die es den beiden Beratern geht.“ Stimmt. Und stimmt nicht. Weil es nicht um Hierarchie als solche geht, sondern um ihre verbreitete verkrustete Spielart.
Hierarchie ist überall und überall auch nötig. Ein Unternehmen ohne Hierarchie ist undenkbar. Gerade in Krisenzeiten ermöglicht sie schnelle Entscheidungen. Vielerorts ist das gerade überlebenswichtig. Um ihre Abschaffung kann es also nicht gehen, wenn PROCEED Unternehmen dabei unterstützt, mit den Herausforderungen der vernetzten Welt zurechtzukommen. Worum geht es dann?
„Beziehungen sind die Voraussetzung für lebendige menschliche Netzwerke„
Vernetzte Systeme verhalten sich unvorhersehbar. Ihre Komplexität erlaubt allenfalls kurzfristige Prognosen. Wie dynamisch so ein Geflecht aus Knoten und Verbindungen agiert, zeigt uns die aktuelle Virus-Krise. Sind wir doch dabei, viele Verbindungen zwischen Menschen, also besser die Beziehungen zwischen ihnen zu kappen, um aus der Infektionskette auszusteigen. Und schon nach Tagen zerrütten wir damit das Wirtschafts- und Sozialgefüge. Schon jetzt ist sicher, dass kaum jemand in der Nach-Corona-Welt so weitermachen kann wie vorher. Das zeigt, dass Beziehungen die Voraussetzung für lebendige menschliche Netzwerke sind. Auch in Unternehmen.

Um Beziehungen aufzubauen, zu pflegen, zu gestalten braucht es Dialog. Schon Sokrates wusste: Der Dialog fördert „das Treffen von verbindlichen Abmachungen und Entscheidungen mit hoher Akzeptanz.“ Die Psychologin Dr. Mirriam Prieß hat sechs Voraussetzungen für einen gelingenden Dialog beschrieben: Offenheit, Augenhöhe, Interesse, Empathie, Respekt und Wertschätzung. In ihrem sehr lesenswerten Buch „Resilienz“ beschreibt sie an zahlreichen Beispielen eindrücklich, wie der schrittweise Dialogverlust Beziehungen zerstört. Privat und im Beruf.
„Positive Hierarchie ist ein Ausdruck für die Menge und Qualität von Beziehungen„
Wer den Dialog im Unternehmen aufrecht erhält, erhält das Beziehungsnetzwerk lebendig. Nur ein lebendiges Netzwerk kann wertschöpfend tätig und anpassungsfähig sein. Aus der Netzwerkperspektive betrachtet, sind Führungspositionen große Knoten. Also solche sind sie für Verbindungen attraktiver, haben ein größeres Gewicht bei Entscheidungen. Und hier kommt die positive Hierarchie ins Spiel: Sie ist ein Ausdruck für die Menge und Qualität von Beziehungen. Je mehr Beziehungen ein Mensch im Unternehmen hat, desto besser ist sein Wissen um die Dinge, aber auch um die Mitarbeiter und ihre Befindlichkeiten. Das ist wichtig, sogar überlebenswichtig. Denn bei Entscheidungen im Krisenmodus kommt es darauf an, dass möglichst alle Menschen im Unternehmen in eigener Verantwortung diese Entscheidung mittragen und leben. Damit es auch nach der Krise weitergeht. Mit neuen Ideen, Produkten, Lieferanten, Kunden. In jedem Fall aber mit starken, authentischen Beziehungen.
Was wir abschaffen wollen ist eine Hierarchie ohne Dialog, in der funktionale Verantwortung zu Machtausübung missbraucht werden kann. Was wir fördern wollen: Hierarchie auf der Grundlage von Beziehungen verstehen lernen, Beziehungen auf der Grundlage von Dialog aufbauen und diese Beziehungsnetzwerke als die eigentliche Struktur des Unternehmens als lebendigen Netzwerks etablieren.